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Wolken
Clouds
Vladyslava Luchenko, Violine
Fraynni Rui, Violine
Filip Saffray, Viola 
Joonas Pitkänen, Violoncello
Josefiina Dunder, Flöte

Konzertreihe Kaija Saariaho 2023

Usko Meriläinen (1930-2004)
Suvisoitto "Sommerspiel" für Soloflöte und Heuschrecken

(mit Tonband, 1979)


Kaija Saariaho (1952-2023)
Cloud Trio für Streichtrio (2009)

I Calmo, meditato
II Sempre dolce, ma energico, sempre a tempo
III Sempre energico 
IV Tranquillo ma sempre molto espressivo


Pehr Henrik Nordgren (1944-2008)

Streichquartett Nr. 5 op 69 (1986)

I Epilogue

II Return

Konzertdauer ca. 60 Minuten, ohne Pause

Trotte, Münchenstein

Kulturkirche Paulus, Basel

März 2023

Clouds/ Memories/ Nocturne

 

Die Namen der Kompositionen von Kaija Saariaho (1952-2023) wecken poetische Bilder und fantasievolle Visionen in uns. Wir besuchen einen Jardin secret oder wandern in einem Château de l’Âme. Wir erleben Verblendungen oder schauen und staunen einen Lichtbogen im nordischen Nachthimmel. Wir hören, wie Kristall zu Asche zerbricht, Du cristal… à la fumée. Oder wir beobachten Wolken in den französischen Alpen, wie Kaija Saariaho, als sie 2009 das Cloud Trio in Les Arcs komponierte. 

„Once again I realized how rich a metaphor a natural element can be: its state or shape is so recognizable and yet, it is always varied and rich in detail.” 


Saariaho war nicht nur fasziniert von den himmlischen Naturformen, sondern auch vom Streichtrio als eine bezaubernde Besetzung. Violine, Viola und Violoncello stammen zwar aus derselben Instrumentenfamilie der Streicher, überzeugen aber alle durch ihre charaktervolle Eigenständigkeit. Saariaho, die bereits Stücke für Streichquartette geschrieben hatte, war auch überrascht davon, wie anders sich die Komponierarbeit für ein Streichtrio gestaltete. 


„My idea for the Cloud Trio is about common textures: how to create one coherent texture – still complex and detailed – with individual lines. The three instruments have different tasks and functions. They represent very different aspects of string playing. These tasks are sometimes very concrete: The violin tends to behave as an echo or reverberation, the viola creates new clouds next to the existing ones and the cello often has a function of a shadow to the upper instrumental lines. The four sections of the piece have their own colours and characters. I leave it to the listener to imagine what kind of clouds were their sources of inspiration.” 
 

Diese Konzertreihe taucht in die finnische Gegenwartsmusik und zelebriert den 70. Geburtstag von Kaija Saariaho, Grande Dame der zeitgenössischen Komponierkunst. In mehreren Jahren hintereinander war sie die meist gespielte Komponistin unserer Zeit, gemäss der Bachtrack Statistik. Ihr Stil ist pionierhaft und erfrischend modern geblieben. Einerseits ist sie ihren Idolen der französischen Spektralmusik der 1980er Jahre treu geblieben - sie lebt seit 40 Jahren in Paris - andererseits hat sie ihre eigenen, unverkennbaren Klanglandschaften geschaffen. Ihre Begabung mit sinnbildlichen und visuellen Komponenten sowie mit synthetischer Klangerzeugung fantasievoll und "natürlich" zu arbeiten, ist eine grosse Inspiration für Künstler aller Gattungen. Für Rezipienten ist ihre Kunst mit akustischen und elektronischen Klängen ein "ohrenöffnendes" Erlebnis.


Vor ihrer Auswanderung nach Frankreich, mit 30 Jahren, war Kaija Saariaho ein wichtiges Mitglied von Ohren auf! , einer künstlerischen Bewegung in Finnland, die sich zum Ziel gesetzt hatte, zeitgenössische Musik auch im fernen Norden zu etablieren. Ohren auf! wurde Anfang 1980er Jahre von einer Gruppe junger Musiker gegründet, die sich für moderne Musik mit ihren unterschiedlichen Stilrichtungen und Gebieten interessierte. Neben Saariaho bildeten weltbekannte Komponisten/ Dirigenten, wie Esa Pekka Salonen und Magnus Lindberg, die Kerngruppe der Bewegung. Ihre Aktivitäten umfassten öffentliche Konzerte, Vorlesungen und Podiumsgespräche sowie Seminare wie auch gemeinsame Reisen ins Ausland. Obwohl manchmal nur „zwei Menschen und ein Hund“ im Publikum sassen, wurde das ambitiöse Vorhaben von der Öffentlichkeit mit viel Anerkennung verfolgt. Entgegen den Erwartungen gelang es Saariaho und ihren Künstlerfreunden, die viel Zeit miteinander verbrachten und sehr kollegial ihre Pläne entwickelten, das Herz des finnischen Publikums für Neue Musik zu gewinnen.    


Eine herausfordernde Dimension in der Überzeugungsarbeit bildeten die neuen Technologien, mit deren Hilfe elektronische Musik komponiert wurde. Die Rede war von Computermusik. Um sich mit der Kunst der synthetischen Klangerzeugung auseinanderzusetzen, verliess Saariaho Helsinki und absolvierte vertiefende Studien in Freiburg und Paris. Unterhalb des Centre Pompidou befand sich das Institut IRCAM (Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique), in dessen elektroakustischen Experimentierräumen Saariaho ein neues Terrain erobern durfte. Hier begann ihre beispiellose Reise in der Forschung der akustischen Phänomene und im Schaffen von Kompositionen, die Verbindungen zwischen Musikern und elektronischen Klängen ermöglichen.


„Der Hintergrund meiner Musik ist oft kräftig visuell. Mich inspirieren Licht- und Farbphänomene, auch Lyrik. Vor Beginn einer Komposition sehe ich Klänge vor meinem inneren Auge als Farben und Texturen. Ich gehe konzeptionell vor, mache grafische Notizen, male Linien mit Pinsel auf dem Papier.“ 

Vor Saariaho’s Zeit als Vertreterin der modernen Musik in Finnland, zählte Usko Meriläinen (1930-2004) zu den wegweisendsten Akteuren der ersten modernistischen Welle, sog. Nachkriegsmoderne, Ende der 1960er Jahre im Land der tausend Seen. Meriläinen selber sagte, dass die Musik von Igor Strawinsky sein Interesse fürs Experimentieren geweckt hatte. Insbesondere das skandalöse Ballett Sacre du Printemps war ein bewegendes Erlebnis auch für Meriläinen. Von den strawinskyschen Impulsen wendete er sich der Zwölftonmusik zu und setzte seine Studien bei Wladimir Vogel in Ascona, Schweiz fort. 


Bei Usko Meriläinen trifft traditionelle Kompositionstechnik auf moderne Tonsprache. Stilistisch lässt sich seine Musik nicht genau einordnen. Ein typisches Merkmal für seine Klangwelt ist die Vielfalt von rhythmischer Gestaltung. "Whatever the style, the music of Meriläinen was always marked by its rhythmic richness.", schreibt Kimmo Korhonen, einer der führenden Musikwissenschaftler Finnlands. Das 1979 uraufgeführte Suvisoitto (Sommerspiel) ist ein wunderbares Beispiel dafür. 


Meriläinen komponierte diverse Kammermusikwerke für Flöte. Auch Suvisoitto ist vom Grundcharakter her ein kammermusikalisches Stück, obwohl es für Flöte solo komponiert wurde. Das Stück hat einen hohen Stellenwert in der finnischen Musik der Gegenwart. Es gehört zu den „Klassikern“ des zeitgenössischen Konzertrepertoires. Es ist auch der Namensgeber des 1986 gegründeten Musikfestivals „Sommer Sounds“, das jährlich vom Avanti! Kammerorchester für Neue Musik in Porvoo, am Finnischen Meerbusen veranstaltet wird.  

„Suvisoitto reflecst summer thoughts. The material for the sound track accompanying the flute solo is drawn solely from the familiar chirp of grasshoppers, our own Finnish insects, foreign cicadas and even Japanese meadow crickets.“ 

Zur Interpretation seiner Erfahrungen, Gefühle und Beobachtungen greift der Komponist Pehr Henrik Nordgren (1944-2008) auf diverse Stilrichtungen der modernen Musik zurück. Erkennbar sind Einflüsse aus der Zwölftontechnik, freitonalen, aleatorischen und minimalen Musik wie auch aus der Clustertechnik Ligetis sowie aus der finnischen und japanischen Volksmusik. 


Seine Stücke sind äusserst abwechslungsreich, es ist Stilpluralismus pur. Nordgren verwendet gekonnt verschiedene Stile innerhalb einer Komposition und schafft dabei klangstarke Stimmungen. Sein Gesamtwerk umfasst u. a. acht Symphonien, zahlreiche Solokonzerte und ca. 40 Kammermusikwerke, darunter auch 11 Streichquartette. Als Formation war das Streichquartett immens wichtig für Nordgren: Es wurde zu einem lebenslangen Reflektor seiner musikalischen Ideen und Emotionen. Er komponierte Streichquartette im Laufe seiner gesamten Karriere, während fünf Jahrzehnten. Diese und weitere Werke für Streicher stehen im Mittelpunkt von Nordgren’s Œuvre.

„Komponieren findet ja nicht ausserhalb des Lebens statt, quasi abgekoppelt von unseren Erfahrungen, Gefühlen und Beobachtungen. Somit kann Musik kein loses Phänomen sein. Ich halte das Komponieren für ein Ausdrucksbedürfnis, welches über die Sprache hinausgeht; als eine Art der Kommunikation mit meinen Mitmenschen.“ 

 

Zur Interpretation seiner Erfahrungen, Gefühle und Beobachtungen greift der Komponist Pehr Henrik Nordgren (1944-2008) auf diverse Stilrichtungen der modernen Musik zurück. Erkennbar sind Einflüsse aus der Zwölftontechnik, freitonalen, aleatorischen und minimalen Musik wie auch aus der Clustertechnik Ligetis sowie aus der finnischen und japanischen Volksmusik. Seine Stücke sind äusserst abwechslungsreich, es ist Stilpluralismus pur. Nordgren verwendet gekonnt verschiedene Stile innerhalb einer Komposition und schafft dabei klangstarke Stimmungen. Sein Gesamtwerk umfasst u. a. acht Symphonien, zahlreiche Solokonzerte und ca. 40 Kammermusikwerke, darunter auch elf Streichquartette. Als Formation war das Streichquartett immens wichtig für Nordgren: Es wurde zu einem lebenslangen Reflektor seiner musikalischen Ideen und Emotionen. Nordgren komponierte Streichquartette im Laufe seiner gesamten Karriere, während fünf Jahrzehnten. Diese und weitere Werke für Streicher stehen im Mittelpunkt seines Schaffens.


Seine künstlerische Laufbahn ist sehr ungewöhnlich. Erst mit 14 Jahren begann er Violine zu spielen und schrieb Orchesterwerke, ohne jegliche Ausbildung. Später studierte er zwar Musikwissenschaft, besuchte aber nie die renommierte Musikhochschule Sibelius-Akademie in Helsinki (sehr untypisch!), sondern erhielt Privatunterricht im Komponieren bei Joonas Kokkonen. Weiterführende Studien brachten ihn weder nach Europa noch in die USA, sondern nach Japan. Hier verbrachte er drei Jahre, studierte japanische Volksmusik, Komposition sowie traditionelle japanische Instrumente. Als er nach Finnland zurückkehrte, mit seiner japanischen Frau, liessen sie sich in Kaustinen nieder, im Zentrum der finnischen Volksmusik, an einem ländlichen Ort im Westen. Hier gründete er 1979 die Kaustinen Kammermusikwoche, die noch heute eine bedeutende Rolle in der finnischen Festivallandschaft für Folklore, Kammermusik & Crossover-Projekte spielt.  
 

Das Streichquartett Nr. 5 (1986) war Nordgren’s persönliches Lieblingsstück. Es sei eine Apotheose der Leere. Die Komposition beginnt unkonventionell mit einem Epilog - einer Schlussrede für das vierte Streichquartett, das er drei Jahre zuvor geschrieben hatte. Hier scheint Nordgren (sich) zu fragen, ob eine Komposition einen Anfang und ein Ende haben kann/soll.         


“The years in Japan in the early 1970s were a great eye-opener for me. I awoke to a new and unknown world, and the impact of those experiences has not vanished. I have, in my work, a single purpose: to combine different impressions and thus find a voice of my own. There is no other reason to compose, to create art. If my music can communicate something of my innermost feelings and elicit a response, it has not all been in vain.”

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